Wir wollen noch mehr lernen 
Das neue Jahr kam und die Tage wurden länger und wärmer. Caillean hatte nun viele Flausen im Kopf, was ja nicht ungewöhnlich ist für eine Anderthalbjährige. Sie lernte ihre ersten Kunststückchen, das Knien und das Kompliment. Sie lief hinter mir her wie ein Hund, was bei Spaziergängen auf der Strasse natürlich immer für Verwirrung sorgte, denn Caillean kam auf Pfiff. Ich vertraute ihr so sehr, dass ich auf Halfter und Strick in näherer Dorfumgebung verzichtete. Färbt es vielleicht doch ab, wenn man zusätzlich zum Leben in einer Pferdeherde ausserdem mit einem Hund aufwächst? Mein Hund Jamie (Border Collie/Schäferhund-Mix) und Caillean waren nämlich unzertrennlich. Sobald der eine den anderen sah, war es um die beiden geschehen und die Welt drumherum vergessen.
Jamie sass neben Caillean, wenn die graste, Jamie schlief in Cailleans Box, Jamie und Caillean tobten über die Weide, wobei nie sicher war, wer gerade wen verfolgt, Jamie und Caillean tranken einig nebeneinander aus der Wanne, usw. usw., und sie gingen natürlich auch zusammen mit mir spazieren. Mittlerweile war es März und für Caillean begann das Lauftraining im Reitviereck. Im Juni sollte sie ihre erste Schau gehen und sie sollte gleich den besten Eindruck hinterlassen. Schliesslich sollte sie das erste Pferd aus eigener Zucht werden, dass die Staatsprämie anstreben sollte. Gut genug war sie dafür allemal, aber ein wenig Schliff und ein wenig Streckung im Trab würden das Bild abrunden.
Sie machte sich gut im Training, war immer fleissig und konzentriert. Sie war in ihrem Element, wenn es darum ging, mal wieder etwas Neues zu erlernen.


  Das Schicksal schlägt zu
Knapp vier Wochen später geschah es dann. Ich holte Caillean wie gewohnt von der Weide. Es war ein warmer Vormittag und sie wirkte ein wenig lustlos und unkonzentriert. Nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste bei einem fast zweijährigen Pferd. Ich putzte Caillean und führte sie ins Reitviereck. Ich machte sie vom Strick los und sie trabte an. Nach ungefähr 20 Metern brach sie vorne ein. Ich dachte noch: na, heute sind wir aber tollpatschig. Nach einer halben Runde knickte sie hinten weg und sie fiel fast hin. Bei mir schrillten sofort die Alarmglocken! Sofort sprintete ich zum Telefon und rief Jens, meinen Tierarzt, an.
Er kam und untersuchte. Sein Gesichtsausdruck wurde bedenklich, die Diagnose war ein Schlag ins Gesicht: Wobbler - Ataxie - wahrscheinlich traumatisch. Heilungschancen: Ja, aber langwierig. Nur die Zeit wird zeigen, wie es weitergeht!
Nun, ich bin eine Optimistin. Bei Ataxie gibt es vor allem zusätzlich Muskelschwund. Also wurde Caillean jeden Tag stramm eine halbe Stunde im Schritt geführt. Nach knapp drei Wochen wurden die Schritte zusehends sicherer. Die Prognose: in einem halben Jahr wird Caillean wohl wieder 100%ig auf dem Damm sein. Na, das war zwar insofern unbefriedigend, da Caillean sich in diesem Jahr noch nicht schaumässig bewähren könnte, aber es war auch kein Beinbruch. Zum Schaulaufen war immer noch genügend Zeit, mein Pferd brauchte eben eine längere Genesungszeit. Weiterhin bekam Caillean ausschwemmende und entzündungshemmende Medikamente, damit die traumatische Schwellung am Rückenmark schnellstens zurückgehen könnte und die Nervenbahnen nicht weiter geschädigt werden würden. Wir mussten einfallsreich vorgehen, denn Caillean konnte Spritzen nicht mehr ausstehen. Sie ging mit allen Tricks vor. Sobald Jens in Sicht kam, war sie am Halfter nicht mehr zu halten, sie fiel lieber eher um, als dass sie stehen blieb, um auf die Spritze zu warten. Einmal biss sie Jens sogar in den Kopf, was ihn mehr erstaunte als alles andere.
Genau vier Wochen nach den ersten Krankheitssymptomen erhielt ich einen Anruf: ich sollte schnell kommen, mein Pferd könnte draussen nicht mehr aufstehen! Völlig geschockt machte ich mich in Windeseile auf. Caillean lag, die anderen Pferde standen um sie rum. Catherin hatte Caillean im Genick gepackt und versuchte, sie aufzurichten. Eine Freundin, die neben unserem Pferdeauslauf wohnt, erzählte mir später, dass Catherin dies wohl schon eine ganze Weile so versucht hatte.
Schnell waren helfende Hände zur Hand, aber wir konnten Caillean nicht aufrichten. Wenn ich ehrlich bin, ich wusste zu diesem Zeitpunkt schon, dass Caillean nicht wieder gesund werden würde. Aber wie sagt man: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

 Das Ende naht
Ich rief Jens an, er kam sofort. Ich schrie ihn an, er solle sie einschläfern!
Er sah mich an, ging stumm zurück zu seinem Auto und zog mehrere Spritzen auf. Caillean sah mich an, gross waren ihre Augen und dunkel und es war kein Funken Willen und Stärke darin. Sie hatte einfach aufgegeben.
Jens kam zurück und raunzte mich an: Nimm Dich zusammen! Halte den Kopf, streck den Hals!

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