Wir werden langsam erwachsen
Der Tag des Absetzens kam. Hierfür wurde Caillean in den neuen Stall, in den ich nun einzog, gebracht. Ihre Mutter kam zu einer Züchterkollegin, die Cedar gepachtet hatte. Es gab keinen grossen Terz. Eigentlich sah Caillean eher so aus, als wäre es völlig normal, dass die Mutter nicht mehr da war. Überhaupt interessierte sie nur, dass ich im Stall bei ihr war.
Ich muss gestehen, ich gehe äusserst sanft mit meinen Absetzern um. Bis jetzt wurde mir das noch von jedem meiner Pferde gedankt. Auch und gerade vor allem Caillean enttäuschte mich da nicht. Sicherlich ging sie nicht am Halfter wie ein älteres Pferd, aber sie zögerte nie und war immer willig und aufmerksam.
Im neuen Stall waren wir in einer Selbstversorger-Gemeinschaft. Der Dienst für Raus- und Reinbringen der Pferde vom Stall zur Weide wurde aufgeteilt. Sicherlich, mir war klar, dass es darunter Leute gab, die viel von ihrem Können erzählten, aber.....
Nach einigen Wochen beschwerte sich eine Stallkollegin bei mir.
Ich sollte endlich mal meinen Absetzer erziehen! Jedes Mal, wenn sie die Boxentür aufmache, um das "Biest" aufzuhalftern, würde es sie anspringen oder über den Haufen rennen! - Dies war mir unerklärlich, denn Caillean war für ihr Alter das sanftmütigste Pferd, dass ich kannte.
Allerdings züchte ich diese Rasse schon lange genug, sodass ich weiss, dass sie ihre Eigenarten hat. Knabstrupper besitzen im Allgemeinen eine Gehirnzelle mehr als andere Rassen. Werden sie ungerecht behandelt, können sie äusserst erfindungsreich im Äussern ihres Widerwillens sein.
Mir kam da also ein Verdacht. Es war bekannt, dass diese junge Dame mit ihrem eigenen Pferd sehr jähzornig und ungeduldig verfuhr. Also blieb mir nichts anderes übrig, als an einem Morgen, an dem diese Dame Stalldienst hatte, früh zu den Pferden zu fahren, um endlich der Sache auf den Grund zu gehen. Als ich um die Stallecke kam, konnte ich schon ein wütendes Gezeter hören, das Springen und Trampeln eines Pferdes. Ich kam in Eile um die Ecke und musste eigentlich lachen.
Die Dame lag auf der Gasse, hatte eine Gerte in der Hand, Caillean stand über ihr tänzelnd und wollte sie am Kragen packen. Wütend und mit angelegten Ohren rollte das Pferd mit den Augen, so böse hatte ich das Stütchen noch nie gesehen.
Da blieb nur eins: Ich ging ruhig weiter, packte das Pferd am Schopf und sprach es an. Klick - als hätte man einen Schalter umgelegt, wurde die Stute zahm und sanft und stieg über die Frau vorsichtig hinweg. Ich brachte an diesem Morgen Caillean selbst auf die Weide, erteilte jedem im Stall Verbot, meine Pferde anzufassen und hatte meine Ruhe.
Es gab zwar den ersten richtigen Knacks mit den anderen Einstellern, aber meine Pferde, und vor allem Caillean, waren wieder ruhig und ausgeglichen. Das war mir die Sache wert.
Mit 11 Monaten wurde Caillean zum ersten Mal rossig. Das ist recht früh für einen Knabstrupper, der, wie alle Barockrassen, eigentlich zu den Spätentwicklern gehört. Mit der Rosse kam auch die erste richtige Flegelphase. Plötzlich wollte man nicht mehr Hufe geben. Aufhalftern war blöd, beim Putzen war man kitzelig, Stillstehen ging nicht. Na, da half nur Geduld, Disziplin und Konsequenz. Caillean wurde langsam erwachsen.


  Ein Pferdeleben
Die meiste Zeit lebte Caillean mit ihren Pferdekameraden auf der Weide.
Sie hatte nun eine wichtige Aufgabe: Babysitter für das Fohlen Ceridwen.
Dies ist eine wichtige soziale Stellung, die zum einen die Jungstute auf die spätere Mutterschaft vorbereitet, zum anderen gibt es der eigentlichen Mutterstute genügend Freiraum, um für die Milchproduktion genügend Futter aufzunehmen. Bedenkt man, dass Pferde eigentlich Steppentiere sind und damit aus einer Gegend kommen, die nur spärliches und nahrstoffarmes Futter bietet, so kann man den Sinn dahinter erkennen.
Desweiteren wird das Resorbieren des im Leib der Mutterstute bereits wieder herangwachsenden Fötus möglichst verhindert, da der Mutterstute die stressige Aufgabe des ständigen Aufpassens auf das Fohlen abgenommen wird.
Caillean nahm ihren Job sehr ernst. Überhaupt war sie ein äusserst umgängliches aufmerksames Pferd, das sich mit jedem anderen Pferd verstand. Sie entwickelte eine äusserst innige Freundschaft zu dem alten Haflinger meiner Freundin Silke. Der adoptierte Caillean regelrecht. Damit hatte er allerdings auch das Fohlen Ceridwen am Hals. Erst war er doch sehr skeptisch, ob er zwei jungen Pferdedamen gewachsen sein könnte, nach und nach fand er aber Gefallen an seinem neuen Status als Pferde-Opa.
So ging das Jahr seiner Neige zu. Ceridwen wurde abgesetzt und hatte Caillean für sich, die sich rührend um sie kümmerte. Catherins Bauch wuchs und ich hatte schon die Befürchtung, es könnten Zwillinge drinstecken. Eine Züchterkollegin von mir brachte ihr Stutfohlen vorbei zum Absetzen, sodass Ceridwen mit einer Gleichaltrigen vorlieb nehmen musste und Caillean kehrte zum Hauptteil der Herde zurück. Hier bekam sie nun eine neue Aufgabe: Begleitstute und zukünftige Hebamme für ihre Grossmutter Catherin. Ein neuer Abschnitt in Cailleans Leben begann.

<< blättern >>